Montag, 4. August 2014

Max & Julius Sommerlesetipp #1: Baschar und mein Leben im Goldfischglas von Vincent E. Noel


Ein merkwürdig interessantes Buch mit eigenwilliger Erzählweise


Syrien während des Bürgerkriegs 2013. Die Geschichte besteht aus vier Teilen, welche durch zwei verschiedene Personen erzählt werden, der eigentliche Autor tritt dabei nur als Herausgeber in Erscheinung. Der erste und dritte Part wird von einem jungen Mann aus dem einfachen Volk verfasst, die beiden anderen von der Frau eines Offiziers, der Rebellen und deren Angehörige foltert: Am Anfang ist es etwas schwierig, sich in die Gedanken der Erzähler einzufinden, da beide letzten Endes in ihrer passiven Hilflosigkeit und ihrer Heimatstadt, die sich in einen gespenstigen Käfig verwandelt hat, gefangen sind. Die sehr hektische Erzählweise – viele Wörter, wenig Satzzeichen und damit wenig Ruhe vor dem Bombardement durch die Schreckensbilder eines zerstörten Landes -  ist von der Angst und dem gleichzeitigem Versuch, aus dem Wahnsinn doch irgendwie einen Alltag zu gestalten, geprägt. Dadurch erkennt der Leser nur langsam die Zusammenhänge und versteht die Geschichte erst allmählich anhand der Details, welche sie vom einen zum anderen Erzähler tragen. 

Scheinbar sinnlose Inseln von Banalem als Rettungsanker der Erzähler

So wird der erste Part aus der Sicht eines jungen Mannes beschrieben, dessen Bruder sich, wie man im Laufe der Ereignisse langsam erahnt, den Rebellentruppen angeschlossen hat, die gegen Machthaber al-Assad kämpfen. Um den Aufenthaltsort des Bruders herauszufinden, werden nacheinander die junge Schwester, der Vater und schließlich der Erzähler selbst von den Schergen des „bösen, bösen Mannes im Palast“ entführt und gefoltert. Gerade die furchtbar beiläufige Erwähnung dieser Ereignisse, deren Brutalität sich immer mehr steigert und die vom Erzähler als Alltag akzeptiert werden – den Schmerz und die Demütigungen empfindet er als nicht mehr auf sich selbst bezogen – zeigen dem Leser, wie sinnlos und brutal dieser Krieg vor allem zu den Menschen ist, die eigentlich nichts damit zu tun haben und nur irgendwie (über)leben wollen.
Beide Erzähler versuchen sich noch im Folterkeller beziehungsweise nach dem Tod, an Kleinigkeiten in ihrem Elend festzuhalten, um nicht komplett wahnsinnig zu werden. Stellenweise scheint jedoch die Angst und das Elend ihrer Stadt überhand zu nehmen, wie der Leser an sich wiederholenden, eigentlich sehr nebensächlichen Informationen (Gefährlichkeit des Rauchens, Rezept usw.) deutlich merkt, von denen die eigentliche Geschichte vor allem anfangs oft unterbrochen wird. Diese scheinbar sinnlosen Inseln von Banalem fühlen sich jedoch immer mehr wie ein nur scheinbar trivialer Rettungsanker der Erzähler in einem zerstörten und in sich zerrissenen Land und Alltag an und zeugen von den kleinen geistigen Aussetzern der beiden, wenn das Grauen in ihren Leben überhandnimmt.
Ein besonders seltsamer Aspekt des Buchs ist, dass der vierte Part von seiner Erzählerin nach deren Tod verfasst wird: Der Bruder des ersten Erzählers, der sich den Rebellen anschloss und dessen Familie vom Mann der zweiten Erzählerin gefoltert wurde, tritt hier zum ersten Mal auf ziemlich einschneidende Art und Weise in Erscheinung…

Keine nette Gute-Nacht-Lektüre

Insgesamt ein merkwürdig interessantes Buch, dessen eigenwillige Erzählweise auf sehr beklemmende und eindrucksvolle Art die Schrecken eines Kriegs nahe bringt, bei dem der Herrscher gegen sein eigenes Volk kämpft. Der Wahnsinn lauert hier hinter vielen Ecken, keine der beiden Seiten scheint besonders viel Wert auf Menschenleben zu legen, jeder Tag könnte der letzte sein, das sinnlose Warten drückt schon dem Leser als bloßem Beobachter der Situation stark aufs Gemüt und vor allem: eine Verbesserung der Lage für die normale Bevölkerung ist nicht in Sicht, ganz im Gegenteil.
Das Buch ist also bei weitem keine nette Gute-Nacht-Lektüre, sondern regt zum Nachdenken an und zeigt auch, wie schnell ein vermeintlich alltägliches Leben zerstört werden kann und wie kostbar der Frieden, den wir als Normalzustand erachten, eigentlich ist.

Text: Valeria Bopp
Bild: Scribo Verlag

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