Dienstag, 26. August 2014

Max & Julius Sommerlesetipp # 3: "Die Stadt der träumenden Bücher" von Walter Moers


Willkommen in Buchhaim

Eine Stadt, durchdrungen vom schweren Aroma antiquarischer Folianten und frischaufgebrühten Kaffees. Ein wahres Mekka für Bücherfreunde und Leseratten, die jeden Abend Dichterlesungen zur „Holzzeit“ zelebrieren und Schriftsteller mit an Religiösität grenzender Hingabe verehren. Dem dichtenden Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz kommt es mehr als gelegen, dass ihn seine Suche nach dem Verfasser eines geheimnisumwitterten Manuskripts ausgerechnet nach Buchhaim verschlägt. Die romantischen Fassaden der Stadt bekommen jedoch schon bald Risse. Denn Hildegunst muss feststellen, dass Buchhaim nicht von der unschuldigen Liebe zur Literatur regiert wird, sondern von geldgierigen Agenten, skrupellosen Verlegern – und einer hochbrisanten Verschwörung. Doch diese hat längst beschlossen, den umtriebigen Lindwurm in die Katakomben unterhalb der Stadt zu verbannen – in das finstere Refugium der Buchlinge, Harpyren und Bücherjäger, das wahnsinnige Reich des Schattenkönigs.

Auf der Suche nach einem Phantom

„Die Stadt der träumenden Bücher“ ist der vierte Roman, der auf dem fiktiven Kontinent Zamonien spielt. Dieser sagenumwobene Erdteil beheimatet bereits Helden wie einen gewissen Käpt’n Blaubär, der uns allen aus unserer Kindheit bekannt sein dürfte. Mit dieser Erzählung aus den Katakomben von Buchhaim trat jedoch erstmals der wahre Autor der Zamonien-Romane in das Licht der Öffentlichkeit: Hildegunst von Mythenmetz, der größte Schriftsteller des Kontinents. Walter Moers, so wurde endlich ersichtlich, ist nur der Übersetzer der Mythenmetzschen Werke, keinesfalls ihr Urheber. Ein Versteckspiel, das seit Erscheinen der „Stadt der träumenden Bücher“ im Jahr 2004 konsequent eingehalten wird. Der auch als renommierter Comic-Autor („Adolf“, „Das kleine Arschloch“) bekannte Moers meidet die Öffentlichkeit und tritt völlig hinter seinem Alten Ego, dem so gar nicht öffentlichkeitsscheuen Lindwurm, zurück. So kann es schon einmal vorkommen, dass „Hildegunst von Mythenmetz“ Moers auf dessen facebook-Seite wegen seiner stümperhaften Übersetzungen mit Häme überzieht – und dafür den Beifall der Moers-Leser findet. Die Suche nach Walter Moers gestaltet sich ähnlich wie jene nach dem Schattenkönig in der Dunkelheit der Katakomben. Es ist die Jagd nach einem Phantom.

Eine fantastische Reise durch die Literatur

„Die Stadt der träumenden Bücher“ ist gleichzeitig Kern- und Meisterwerk der Zamonien-Reihe. Denn der Bericht des Ich-Erzählers Hildegunst von Mythenmetz ist ein Glanzstück nicht nur der phantastischen Literatur. Zugleich Märchen, Abenteuergeschichte, Schelmenstück und Krimi, spielt der Roman voll diebischem Vergnügen mit literarischen Formen und stellt immer wieder subtile Bezüge zu bekannten Vertretern der deutschen Literaturgeschichte her. So beschwert sich Hildegunst etwa über die Dominanz eines gewissen Ojahnn Golgo van Fontheweg, dem „Platzhirsch der zamonischen Klassik“. Doch nicht nur Germanistikstudenten werden ihren Spaß daran haben, die Rätsel und Anspielungen dieses Romans zu entwirren. Sein feiner Humor ist seiner intensiven Sprachgewalt ebenbürtig und so ist es sicher keine gute Empfehlung, im vollbesetzten Zug in diesem Buch zu schmökern. Denn während man die komischen Szenen kaum ohne zumindest verhaltenes Gekicher lesen kann, werden auch hart erprobte Vielleser nicht behaupten können, auf den letzten Seiten die Fassung behalten zu haben. Wenn der Schattenkönig sein wahres Antlitz zeigt und Hildegunst schließlich seinen Weg zum Dichtertum findet, vereinen sich sämtliche der vielfältigen Romanmotive zu einer einzigartigen Hymne auf die Literatur, die Kunst und das Leben.


Text: Katharina Stahl
Bild: Piper Verlag

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